Die „Straße“ zu unserem Haus hoch ist wirklich eine Zumutung. Man fährt praktisch mitten durch eine Großbaustelle hindurch. Das Auto sieht entsprechend aus. Heute Morgen wird Beton gegossen. Was nicht passt, schwappt die Straße runter. Hoffentlich trocknet das Zeug nicht in unseren Radkästen oder auf dem Lack.
Die mit uns reisende Tochter liegt noch im Bett. Wir fahren nach Sidari. 20 Minuten über schmale Straßen durch Dörfer und eine Landschaft, die Korfu so liebenswert machen. Der „Supermarkt“ ist eher ein überdimensionierter Kiosk. Auf wenig Platz (fast) alles untergebracht. Madame führt dennoch Klage: „Die haben keinen weiblichen Rasierschaum hier, sollen wir männlichen nehmen?“ Ist mir nur recht. Dufte ich wenigstens nicht ständig wie im vergangenen Jahr nach Pfirsich. Wer denkt sich sowas nur aus? Rasierschaum mit Pfirsichduft!?
Weiter über die Touri-Meile von Sidari. Vorbei an unzähligen Bars und Kitsch-Läden, ständig bemüht, den sonnenverbrannten, in die Straße ragenden Bierbäuchen der flanierenden Briten auszuweichen, deren Hochburg dieser Ort ist.
In der Apotheke bekommen wir eine nach Geheimrezept hergestellte Salbe gegen Mückenstiche. „Only for use after bite,“ wie uns die freundliche Apothekerin eindringlich empfiehlt. Bei der mitreisenden Tochter entzünden sich nämlich jetzt die bereits in Deutschland von den Plagegeistern angesaugten Stellen.*
Zurück geht’s über die Umgehungsstraße von Avliotes. Mit EU-Geldern gefördert. Jahrelang unbefahren, weil 10 Meter zum Anschluss an die alte Straße fehlten. Drei Kilometer auf Autobahnniveau. Und alle 50 Meter eine Straßenlaterne. Wahrscheinlich als nächtlicher Insektentreffpunkt gedacht. Denn außer diesen dürfte in dieser Wildnis zu dunkler Stunde niemand unterwegs sein.
Ich kann in den 5. Gang schalten und auf 80 km/h beschleunigen. Wohl das einzige Mal in diesen zwei Wochen.
Früher fuhr man durch den Ort. Die lange Dorfstraße in Eselskarrenbreite. Begegneten sich hier zwei oder mehrere Fahrzeuge (im schlimmsten Fall Busse oder Lkws) wurde es knifflig. Ausweichbuchten Fehlanzeige. Rückwärtsfahren und nachgeben: für Griechen keine Option. Das war dann Millimeterarbeit. Teilweise würden Autos per Hand aus dem Weg in leere Garagen, Toreinfahrten und Hauseingänge geschoben. Eine Zumutung für die dort wohnenden Menschen. Es wurde protestiert und demonstriert. Heute wird mit handgeschriebenen Richtungshinweisen auf Pappschildern auf die Existenz von Avliotes hingewiesen und um’s Kommen geworben, weil sich kein Mensch mehr dorthin verirren will.

Nach dem Spätaufsteher-Frühstück geht’s zum Zentralstrand. Heute kostet es zehn Euro. Acht für das Paket „Sonnenschirm mit zwei Liegen“ plus zwei pro Zusatzliege. Am Wasser entlang wandern wir bei 29 Grad zur Vales-Taverne, vor der der Strand immer noch unberührt ist. Nikos entdeckt uns und bietet an, einen Schirm eigens für uns einzubuddeln und zwei Liegen dazuzustellen. Wir lehnen ab und nehmen das Versprechen mit, dass am Freitag -also in drei Tagen- alles stehen wird. Im Übrigen könne man schon jetzt das volle kulinarische Angebot der Tarverne genießen. Naja, ein Blick ins Unvollendete lässt Zweifel keimen.
Von hier aus jedenfalls, fast am Ende der Bucht, lässt sich die Schönheit dieses Fleckchen geradezu einatmen. Drei Kilometer Sandstrand. Aufgrund der Hufeisen-Form fast mit einer eigenen Klimazone ausgestattet. Wenig bewirtschaftete Abschnitte, nur wenige Menschen am Strand, noch weniger im Wasser, dafür umso mehr winzige Fische im kristallklaren Wasser, das das Band aus bunten Kieseln am Rand wie eine Fototapete wirken lässt.

Ab und zu quält sich ein Betonmischer auf der Uferstraße in die kurze, steile Haarnadelkurve in den Ort zur mafiösen Baustelle, um auf dem Weg dorthin weitere Asphaltfetzen aus der Dorfpromenade zu reißen und die vorhandenen Schlaglöcher in Krater zu verwandeln. Man fragt sich sowieso, wo die ihre ständig zu rührende pastöse Fracht aufnehmen und wie sie über die schmalen, teilweise extrem steilen Straßen hierher finden.
Der Sonnenuntergang, vom Restaurant „Panorama“ in Afionas beobachtet, fällt heute unspektakulär aus. Das hat er gemeinsam mit dem Essen. Die Karte ist vorsaisonal bedingt doch sehr übersichtlich. Besonders unser Favorit unter den Desserts fehlt. Mousse auf aus weißer Schokolade auf einem mit Kumquat-Likör getränkten Bisquitkuchen.
Die heutige (Wind-) Stille, die absolut glatte Wasseroberfläche und der grandiose Blick bis hin zu den nördlichsten griechischen Inseln Mathraki, Erikousa und Othoni taucht das Ende des Tages dennoch in eine fast schon mythische Atmosphäre.

*Nachtrag: Die selbst hergestellte „After-Bite“-Salbe hat sich als höchst wirksam und hilfreich entpuppt.