Erstmal zu Fuß quer durch die mafiöse Baustelle zum Laden. Eigentlich sind es drei Bauabschnitte. Einer ist fast fertig. Scheint nur noch das Wasser im Pool zu fehlen. Gehobene Ausstattung. Die Sonnenliegen stehen, noch in Folie verpackt, gestapelt an der künftigen Poolbar. Geschätzt sind hier um die hundert 2-Betten-Appartements errichtet worden. Auch entlang der Hauptstraße wird mächtig investiert.

Im Vorjahr noch als Bausünden zu klassifizieren, sind in den wenigen Monaten aus Ruinen schicke Touri-Unterkünfte entstanden. Das bereits im letzten Jahr eröffnete Hotel „St. Georges Palace“ zum Beispiel stand mehr als zehn Jahre nur als skelettierter Rohbau im Ginster-Hang.
Zum Glück darf hier maximal zweistöckig gebaut werden. Bleibt zu hoffen, dass die Rendite aus alldem im Land bleibt und die zu erwartenden Touristen ihr Geld in den lokalen Geschäften ausgeben. Weh tut natürlich, dass der Ort weiter an Ursprünglichkeit verliert. Und möge -wenn mir die höchst persönliche Anmerkung erlaubt sei- die neue Zimmervielfalt nicht nur in Osteuropa angeboten werden.
Maria bringt neue Handtücher. Gestern war sie den ganzen Tag beim Baby. Seit sechs Uhr ist sie schon auf den Beinen. Das war die Zeit von Theofilos, den sie so sehr vermisst. Jetzt lernt sie sogar ein bisschen Englisch, um die Gäste besser zu verstehen und sich Ihnen mitteilen zu können. Früher haben das ihr Mann und ihre Tochter getan. Mittags bringt sie einen noch warmen Teller mit drei Biftekis und Zucchini-Gemüse vorbei. Ήταν νόστιμο! Das war köstlich!
Wir lassen heute Strand Strand sein und fahren nach Makrades. Von Agios Georgios zunächst nach Pagoi und dort rechts auf die Passstraße, die sich zunächst eng durch Prinilas schlängelt, um dann, immer breiter werdend, in lang gestreckten Serpentinen den Berg hinauf zu führen. Ambitionierte Radsportler kommen auf dieser Strecke sicher voll auf ihre Kosten. An der letzten Kehre unbedingt anhalten. Der Blick über die Buchten von Agios Georgios und Arillas bis zu den diapontischen Inseln ist atemberaubend.
Makrades: Eingerahmt von vielen verfallenen Gebäuden: 200 Meter das reinste Touri-Paradies. Busweise werden sie hier abgeladen zum Shoppen.
Neben dem üblichen Gedöns an Schmuck, Postkarten, Kühlschrankmagneten und T-Shirts: Raummeterweise geschnitztes Olivenholz. Vom Kochlöffel bis zur Penis-Applikation am Flaschenöffner. Hektoliterweise Honig. Mandel, Safran, Pinien. Kubikmeterweise Oliven. Als Öl, als Seife, als Marmelade, sogar als Oliven. Fassweise Wein. Abgefüllt in Kanistern, Plastikflaschen und vermutlich an deutschen Bahnhöfen gesammeltem Leergut. In Rot, in Weiß, in Rosé, in Sauer, in Süß. Und das Beste: alle Produkte garantiert von der einheimischen Bevölkerung mit eigenen Händen geschnitzt, gedrechselt, gekeltert, abgefüllt, gekocht und geklöppelt!
Warum wir hier jedes Jahr hin müssen? ICH. WEIß. ES. NICHT!
Danach geht’s nach Krini, dem Heimatdorf unserer Vermieter. Die meisten Besucher fahren durch und steuern die dahinter gelegene Burg Angelokastro an. Haben wir auch schon zweimal gemacht. Heute aber halten wir an und sehen uns im Ort um. Allein der Marktplatz ist so malerisch, dass man eine ganze Speicherkarte voll knipsen könnte.
Schließlich finden wir auch den kleinen Friedhof und das Grab von Theofilos, dem wir damit unsere Ehre erweisen. Das Photo auf dem Sarkophag zeigt ihn als jungen Mann. Ein stolzer Grieche mit klarem Blick.
Friedhof heißt auf Griechisch „Kimitirio“. Übersetzt: Schlafstätte. Die Toten ruhen hier nicht in der Erde, sie werden meist in Sarkophagen aus Marmor beigesetzt. Der Friedhof in Krini gleicht allerdings mehr einem „Gottesacker“. Es gibt auch Erdgräber und zahlreiche verfallene Grabstätten unterschiedlichster Größe. Wege sind nicht angelegt.
Auf dem Rückweg vom Friedhof spricht uns ein griechischer Handwerker an, der gerade einen Rohbau von innen verputzt. Wenn wir tolle Fotos von der Umgebung machen wollten, könnten wir gerne ins Obergeschoss auf die Terrasse gehen. Alles noch ohne Geländer, versteht sich. Aber der Ausblick ist wirklich phantastisch.
Am Fuß der Burg erfrischen wir uns in der Taverne, sparen uns den steilen Aufstieg, der mittlerweile eine Gebühr kostet und genießen den Blick über die atemberaubend steil abfallende Schlucht auf’s Meer.
Auch wenn es bei 30 oder mehr Grad nicht mein Ding ist: Das Wandern erfreut sich auf Korfu immer größer werdender Beliebtheit. Auch hier in Krini treffen wir auf viele berucksackte Menschen, die zum Beispiel den jahrhundertealten Eselsweg runter nach Agios Georgios nehmen.
Von Makrades führt uns die Tour zum Troumpetas, ein Pass, über den jeder Autofahrer muss, wenn er von der Hauptstadt in den Nordwesten will. Die ausnahmsweise breite Straße ist zwar recht löchrig, gibt aber immer wieder herrliche Blicke nach links und rechts in die korfiotische Landschaft frei.

Wir lassen uns treiben und gelangen fast automatisch nach Agios Stefanos im Nordwesten. Hier haben wir schließlich unsere Liebe zur Insel entdeckt. Obwohl wir dem Ort schon vor Jahren den Rücken gekehrt haben, werden wir immer noch mit großem Hallo begrüßt. Von den Schwestern im Andenkenshop, die die mitreisende Tochter heute noch adoptieren würden, von den Betreibern des „Little Prince“, deren Kelnerteam auch heute noch Abend für Abend exakt die gleiche Show an griechischen Tänzen bietet wie vor 14 Jahren. Vom Vater-Söhne-Team, das tagein, tagaus vor seinem Olivenholzladen sitzt und mit den Kunden und sich selber am liebsten die politische Weltlage diskutiert.
Leer steht jetzt nach zehn Jahren das „Ozzy Oil“. Eine mit einem Griechen verheiratete Sängerin aus Down Under, servierte dort australische Küche. Ihre Eltern betrieben just for fun auf dem Weg zum Strand hinunter den besten Sandwich- und Saftladen der Insel. Vergangenheit.
Mittlerweile sind die Farben des Tages in ein sattes Grau übergegangen. Es ist abgekühlt, was Madame aber nicht so recht wahr haben will: „Da unten am Strand sind immer noch einige obenkörperohne!“
Am Abend erster Besuch im „Mon Amour“. Wer sich diesen Namen ausgesucht hat, weiß man nicht. Für uns ist es schlicht die „Taverna“. Das ganze Jahr geöffnet. Direkt an der Straße nach Kavvadades unter einem riesigen Olivenbaum. Mit „To Go“-Fenster. Das Interieur ist gewöhnungsbedürftig. Eine Mischung aus Sportsbar, Dorfkneipe und Taverne eben. Mehrere Generationen männlicher Familienmitglieder im Einsatz. Die Highlights der Karte seit Jahren: Lammschnitzel, Rollbraten und Souvlaki. Heute gibt es auch Lammbraten. Viel und Lecker! Vorher Pitabrot, griechischer Salat (riesig!), Tarama, Tsatsiki, Saganaki. Eine Karaffe roten Hauswein. Hinterher frisches Obst. That’s Greece as its best.
Ein kurzer kräftiger Regenguss lässt die draußen unter wilden Weinreben sitzenden Gäste gut nass werden. Nach einem Ouzo auf das Wohl des Chefs fahren wir heimwärts. Kräftiges Wetterleuchten lässt nichts Gutes ahnen. Tatsächlich müssen wir unsere Rommè-Partie nach innen verlegen. Es schüttet aus Kübeln und gewittert mächtig.
Es wird wieder so lange gespielt bis Monsieur nicht mehr in Führung liegt.
Ich erwäge, den Rommé-Welt-Gerichtshof anzurufen.