Samstag, 19. Mai

So früh im Jahr ging es selten nach Korfu.

Geplanter Abflug 06:00 Uhr. 03:45 Uhr zum Flughafen Düsseldorf. Wir lassen uns bringen. Es ist Pfingstsamstag, in NRW gibt es eine Woche Ferien (weil die Spanne zwischen Oster- und Sommerferien für die Lehrerinnen und Lehrer zu groß sei, wird gemunkelt). Vor und in der Abflughalle herrscht Chaos.

2018 Korfu Fug

Raus aus dem Auto, Koffer im Schlepptau, ab in die Halle. Orientierungsphase. Bildschirm. Abflüge. Korfu. Geplant: 06:00. Erw: 14:00. „Geplant“ ist klar; „Erw“ heißt doch nicht etwa? Doch! Heißt es! Erwartet! Zuversicht klingt anders. Auf jeden Fall noch ca. 10 Stunden Zeit.

In der Schlange am Check-In sind alle vertreten. Die Entspannten, die Murrenden, die Verzweifelten, die Keifenden. Es gibt Banderolen für die Koffer („Den Rucksack* nehmen wir hier nicht an; damit müssen Sie zum Sperrgepäckschalter!“) und Verzehrgutscheine. 7,50 € pro Person, nur an bestimmten Stellen einlösbar, aber nicht auf Mahlzeiten anrechenbar und inklusive Erstattung für 2 Telefongespräche. Wie bei der Überstellung in Untersuchungshaft. „Sie haben zwei Anrufe. Einer sollte Ihrem Anwalt gelten.“ Machen tatsächlich einige. Weil: Infos gibts keine. Zur Ursache der Verzögerung beispielsweise. Schon brechen sich Gerüchte Bahn: der Flieger werde grad repariert. Oder gestern sei ein Flug ausgefallen, der heute mit „unserer“ Maschine nachgeholt worden sei. Unverschämt! Jetzt sei die Crew wegen Arbeitszeitgesetzt nicht mehr einsetzbar. Jemand mutmaßt, die Crew habe sich krank gemeldet, um die Hochzeit von Megan und Harry und anschließend das Pokalfinale** zu sehen.

Die Frau in Blau-Gelb -wir wären jetzt als nächste von ihr abzufertigen gewesen- erhebt sich und macht Feierabend. Man könne sich auch an anderen Schaltern anstellen. Mit einem starken Abgang verabschiedet sie sich. „Meckern Sie nur. Wer hier mitfliege, das bestimme immer noch ich.“

Wir ordern unseren Chauffeur zurück, der schon auf der Autobahn war und legen uns zuhause nochmal aufs Ohr.

Mittags wieder nach Düsseldorf. Nach der Sicherheitskontrolle -bei Madame wird ne Pulle Wasser rausgefischt und ein Sprengstofftest durchgeführt- sind wir um 14:00 Uhr am Gate. Auf der Homepage der Fluggesellschaft ist unser Flug merkwürdigerweise bereits gestrichen.

Die Blau-Gelbe (es ist eine andere als heute früh) verkündet, um 15:00 Uhr gäbe es neue Infos. Bis dahin ist ihr ein Blau-Gelber zu Hilfe gekommen. Sie selbst kommuniziert nur mit denen, die unmittelbar an ihrer Theke stehen -oder heißt das „Desk“? Die, die weiter weg stehen, werden gar nicht erst eingeweiht. Um sie zu schonen? Aus Datenschutzgründen? Erst ein Hinweis aus dem ‚Publikum‘ erinnert die Blau-Gelbe an das Vorhandensein von Mikros und Lautsprecheranlagen auf modern ausgestatteten Luftverkehrshäfen. Um kurz vor 15:00 Uhr bleibt es dann aber dem Blau-Gelben vorbehalten, eine Ansage zu machen. „Jetzt kommt, dass der Flug ausfällt“, unkt die mitreisende Tochter. ‚Klar doch‘, denkt die neben ihr im trendigen Outdoor-Outfit wartende Dame (Wandern auf Korfu soll ein Hit und bei 40 Grad im Schatten enorm Flüssigkeitsabbauend sein und wird von den Einheimischen meist wohlwollend mit einem Kopfschütteln begleitet), ihre Augen verdrehend und steht kurz vorm Zusammenbruch, als der Blau-Gelbe tatsächlich verkündet, dass wir heute am Boden bleiben, aber im Luxushotel gleich nebenan nächtigen dürfen (inklusive Abendessen zwischen 19:00 und 21:00 Uhr). Am Gepäckband warteten schon unsere Koffer. Und es gäbe noch einmal Gutscheine für alle (7,50 € pro Person, nur an bestimmten Stellen einlösbar, aber nicht auf Mahlzeiten anrechenbar und inklusive Erstattung für 2 Telefongespräche). Um 06:55 Uhr würde dann gestartet.

Würden die Blau-Gelben jetzt Mistgabeln, Knüppel und Pechfackeln statt Gutscheine verteilen, das Massaker wäre unausweichlich.

An diesem Abend, nach dem Buffet im Luxushotel -das Angebot an Speisen ist kalkulatorisch exakt an der Anzahl der anwesenden Passagiere orientiert- wird weiteren Rechtsanwälten auf die Mailbox gesprochen.

Und wir? Panik löst nur der Gedanke aus, dass Lidl-Korfu morgen, am Sonntag geschlossen hat. Normalerweise läuft das nämlich so:

Nach Landung und Leihwagen-Übernahme in zwei Minuten rüber in den inzwischen hochmodern ausgestatteten Markt und für die erste Woche Vorräte gekauft. Neben dem deutschen Sortiment gibt es auch viel Einheimisches. Zum Beispiel die Zweiliter-Flasche Ouzo oder die 5-Kilo-Dose Feta. Zugegeben, das Verstauen im Kleinwagen (mit 3-4 Reisenden und entsprechendem Gepäck bereits gut gefüllt) war nie ganz einfach. Und bei 50 Grad unter der Heckscheibe war manche Cola gut vorgewärmt und die Eier angebrütet.

Heute jedenfalls ist das seit Bestehen des Marktes eingefahrene Ritual brutal zerstört.

Wir lassen uns von dem abermals zurückgerufenen Chauffeur nach Hause kutschieren. Während Mutter und die mitreisende Tochter sich erneut in einen komatösen Schlaf fallen lassen, nutzt Monsieur die Gelegenheit und zieht sich bei Netflix zwei weitere Folgen von „Die Einkreisung“ und anschließend das Pokalfinale rein. **

Alle Freunde, Bekannte und Verwandte sind bereits über unser Schicksal informiert.


*Der Hightech-Rucksack geht im Sommer mit der Tochter auf Weltreise. Der Korfu-Trip ist der erste Praxistest. Wasserdicht, ultraleicht, geschätzte 45 verschiedene Taschen, Fächer, Geheimfächer, Schnallen, Gurte und Halterung. Und alles auf den Körper einer Frau zugeschnitten.

**Im Abschiedsspiel von Niko Kovac und Jupp Heynckes schlägt Frankfurt die Bayern mit 3:1.

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